May 15, 2011

Vom Leben in der Schuhhoelle: Heute: Kundinnen auf dem Powertrip

Wie so manch einer unter euch weiss, arbeite ich jetzt in einem Schuhladen. Weit gefehlt, werden sich jetzt ein paar unter euch denken, da meine Ambitionen und mein Lebensziel ja in einem ganz anderen Berufsgenre liegen. Nun ja, in der Not frisst der Teufel fliegen und ohne Scham gebe ich hiermit auch zu, dass ich es eigentlich ganz ok finde. Mein Schuhschrank hat sich mittlerweile exponentiell in eine Schuhzimmer verwandelt und mal zur Abwechslung mit nur Maedls zu tun zu haben, schadet der femininen Seite in mir auch nicht.

Das interessanteste Faktum an der ganzen Sache ist wohl, dass ich ueberhaupt eingestellt worden bin. Ja ok, ich hab halt als Backpacker mal ein paar Wochen in einem Buchladen gearbeitet. Nicht wirklich, was man sich unter "Erfahrung im Verkauf" vorstellt, da sich mein Arbeitsalltag dazumal eher mit Buecher sortieren zwischen all den Zigarettenpausen beschreiben laesst.
Zugegeben - mein Lebenslauf erzaehlt eine andere Geschichte. Aber wer hat nicht schonmal sein resume ein wenig frisiert...(ie PROMOTER = hab mal einen Nachmittag ein paar Flyer fuer'n gratis Konzert verteilt....)

Wie dem auch sei, mittlerweile hab ich es also zur Filialleiterin geschafft (woohooo) und fuer fuenf bis sechs Tage die Woche, bin ich die immer laechelnde, fleissige, hilfsbereite Verkaufsassistentin, fuer manche die Chefin (alas die, bei der man sich beschwert oder die man wegen Urlaub ansudert) und Verantwortliche fuer den geschmeidigen Verlauf aller Aktivitaeten im Shop.

Haette mir jemand waehrend  meiner Zeit in der Oberstufe gesagt, dass Verkauf ein Knochenjob ist, haette ich gelacht. Denn in der Oberstufe wird einem eingetrichtert, dass man nur mit Matura jemand ist. Zugegeben, Schuhe verkaufen ist bestimmt nicht rocket sience, hat aber so manche Tuecken im Bereich der social skills auf Lager. Und wenn ich da so an meine Oberstufen-Professoren denke, dann happert es da ja gewaltig an den social skills. Man lernt halt doch nur einen Bruchteil in der Schule.

Frauen und Schuhe - ein Alptraum in 6 Groessen

Die potentielle Kaeuferin ist facettenreicher als ein Pfau - kommen die netten, dankbaren Kundinnen, bringen sie meist ihre arroganten, noergelnden Freundinnen mit. Bei ganz speziellen Damen stellt sich das Bedienen so komplex heraus, wie Bomben entschaerfen - einmal am falschen Draht gezogen, und schon geht sie in die Luft!

Denn eine Kundin, die Schuhe anprobiert, moechte niemals die Wahrheit hoeren (Ihr Schenkel ist zu fett fuer diesen Stiefel, dieser Schuh ist mindestens 2 Groessen zu klein, ich kann Ihre Fuesse von hier riechen), verfuegt aber ueber einen hypersensitiven und extrem gut furnktionierenden Sensor fuer bullshitting (diese Farbe (orange) ist so universell, die kann man mit ALLEM tragen, Sie (50 +) sind definitiv nicht zu alt fuer 5 inch heels).

Da das Mittel zu finden und der weiblichen Intuition einen Streich zu spielen, kann man schon als wahre Kunst bezeichnen.

Die Kundin auf dem Powertrip

Aus einem mir unbekannten Grund gibt es diesen einen, sehr besonderen Typ von Kundin. Sie hat wahrscheinlich in ihrem Leben nicht das erreicht, was sie wollte. Vielleicht hat sie ihren Traumberuf wegen einer ungeplanten Schwangerschaft niemals verwirklicht, vielleicht war sie noch nie ausserhalb der Grenze ihres Bundeslandes oder hat den Pilotenschein nicht geschafft - in jedem Fall traegt sie eine unermessliche Bitterkeit und Frustration in sich herum und scheut nicht, diesen bei jeder Gelegenheit Luft zu lassen.

Die Kundin auf dem Powertrip kommt nicht in einen Schuhladen, um Schuhe zu kaufen. Sie kommt in einen Schuhladen, um sich bedienen zu lassen, sich zu beschweren und die Verkaufsassistenten sie fuerchten zu lassen.
Sie praeferiert juengere Mitarbeiter als Zielscheibe ihrer "temporaeren Ueberlegenheit", denn die sind meistens unsicherer und verletzlicher als die alten Damen (aka me). Die Kundin auf dem Powertrip will die Maedchen jedoch nicht brechen, sondern sie stimulieren und eine Emotion aus ihnen herauszuprovozieren, die ihr im weiteren Verlauf erlaubt, total auszurasten.

In diesem Akt schreitet dann in der Regel die Filialleiterin ein. Die Kundin auf dem Powertrip traegt an diesem Tag offensichtlich besonders ausgepraegte Gefuehle von Selbsthass in sich. Mit sanften Bewegungen und ruhiger Stimme naehert man sich der wuetenden Dame an und versucht, das eigentliche Problem festzustellen.
Die Kundin auf dem Powertrip kann in diesem Moment natuerlich schwerlich zusammenbrechen und zugeben, ein absoluter Versager zu sein und in einen Shop wie den meinen zu kommen um Mitarbeiter, die sie bedienen (muessen) zu degradieren und zu beschimpfen, um sich selbst besser zu fuehlen.
Lieber bezeichnet sie mich als Stueck Scheisse und bedroht mich mit Schuhen (duenne Stoeckel - sehr einschuechternd!), wenn ich sie zum Gehen auffordere.

Besonders hartnaeckige Powertripper drohen einem dann auch mal mit dem Gesetz oder damit, herauszufinden, wo man wohnt. (Wo Schuhe schon derartige Reaktionen ausloesen, will man gar nicht daran denken, was die Damische in der Jagdsportabteilung alles anfangen wuerde).

Wie also behandelt man die Kundin auf dem Powertrip?

Was tun, wenn man mit einem dieser Exemplare konfrontiert wird? In den letzten Monaten ist mir eines klar geworden - gib dem Menschen das, was er will und er laesst dich in Ruhe. Somit bekommt die Kundin mit dem Powertrip immer ein Kompliment extra (Sie haben ja wirklich tolle Beine fuer ihre Gewichtsklasse - Im Notfall: Ich mag ihre Halskette). Bekommt man ein 'langsam' oder 'schlechter Service' an den Kopf geworfen, so laechelt man und entschuldigt sich. Ja nicht versuchen, sich zu rechtfertigen. Man wuerde ja auch nicht versuchen, mit einem psychopathischen Massenmoerder zu verhandeln - weiss ja jeder nach 200 Saw-Filmen, wie das ausgeht.

Fuer viele mag das klingen, als ob man im Verkauf und grundsaetzlich in allen Berufen basierend auf Kundenservice ein Stueck seiner Seele 'verkaufen' muss. Ein anderer Ausdruck dafuer ist wohl 'abhaerten'.
Dem kann ich voll und ganz zustimmen.
Noch nie in meinem Leben musste ich so viel von meiner Persoenlichkeit unterdruecken, wie es dieser Beruf von mir verlangt.
Da aber jeder ein Stueck zur community beitragen muss, stehe ich jede Woche Montag bis Samstag zwischen 9 und halb 6 fuer das bisschen verbal abuse for pressure relief der gemeinen Hausfrau zur Verfuegung.
No appointments necessary.




Beim naechsten Mal: Vom Leben in der Schuhhoelle: Warum man keine Kinder haben sollte, wenn sie ausser stinken und schreien keine besonderen Qualitaeten vorzeigen und VOR ALLEM warum man vermeiden sollte, eben jene Kinder in meinen Schuhladen zu bringen.