Unser Mitbewohner sucht in zwei Wochen das Weite und mein Mann hat dies zum Anlass genommen, den letzten Auftritt seiner Band genau diesem Mitbewohner zu widmen.
Man muss dazu wissen, dass die beiden auch den selben Arbeitsplatz haben, was mit sich bringt, dass sich ihr Freundeskreis teilweise überschneidet. Dies wiederum bedeutet, dass am Abend des Auftrittes einige dieser ArbeitskollegInnen anwesend waren und für mich stellte sich diese Begegnung als eine gewisse Herausforderung dar.
Ich will hier nicht als Spaßbremse oder Moralapostel wirken, obwohl ich ehrlich gesagt tausend Mal lieber eine Spaßbremse wäre, als eine dieser traurigen Mitzwanzigerinnen, die ich an diesem Abend kennen gelernt habe. Wie auch immer, ich möchte behaupten, den Verfall einer Gesellschaft habe ich selten so deutlich vorgelebt bekommen.
Das fing schon bei den Outfits an:
Wo sich die meisten Burschen nicht viel scheißen, so steht den Partygängerinnen "cheap and easy" oftmals auf der Stirn geschrieben.
Frustration ist das erste Wort, das mir in den Sinn kommt.
"Bein zeigen" verwechselt man hier mit "Arschbacken raus" und die Schminke erinnert schon mal an die Make-up-Flinte von Homer Simpson. Ich meine, jeder hat sich damals mit 14, 15 Jahren mal mit einem Outfit "vertan" und testet Busen- und Beintechnisch seine Grenzen aus. Mit doppeltem Alter kommt vielleicht auch doppelte Stilsicherheit. Sollte man meinen.
Naja, das eigentliche Problem liegt aber nicht am offenherzigen Kleidungsstil. Es ist das Verhalten dieser Mitzwanzigerinnen, dass mich so schockiert. Jeder, der "Erin Brokovich" gesehen hat, weiß, dass man ruhig wie eine Nutte aussehen kann, solange man sich nicht wie eine verhält.
Verlust des Selbstachtung ist das Erste, was mir dazu einfällt.
Ich hatte eine interessante Unterhaltung mit einer Arbeitskollegin meines Mannes. Um ehrlich zu sein, handelt dieser Artikel überwiegend von dieser Arbeitskollegin.
Sie meinte, sie wisse nicht, warum sie immer bei den "assholes" landet, wo sie doch so ein nettes und liebenswertes Mädchen sei. Sie würde sich selbst auch nicht als hässlich beschreiben, sagt sie. Und trotzdem, ihre Ex-Freunde seien genau so emotional unbrauchbar wie ihre casual acquaintances.
An dem Punkt, an dem sie mir ihre Situation offenbarte, hatte sie bereits eine halbe Flasche Vodka vorgeglüht und 2 Gin and Tonic intus. Wieso ich das weiß? - "OMG I am so drunk I already had half a bottle of Vodka and 2 gin and tonics", waren ihre Begrüßungsworte.
Nun ja. Ich habe dann halbherzig versucht, ihr Problem aufzuarbeiten.
Da greift man dann immer auf die Standartfragen zurück.
Wo trifft sie die Männer? - In Bars, Clubs und manchmal bei der Arbeit (Sie arbeitet in einer Bar).
Ok. Stopp.
Sie holt sich ein neues Getränk. Als sie zurückkommt, hat sie bereits vergessen, worüber wir geredet haben.
Als sie sich zu erinnern scheint, schiebt sie ihr weniger glückliches Händchen mit Männern auf ihren "fetten" Arsch. Sie redet nun darüber, dass Männer heutzutage keine Kurven mehr schätzen. Dass sie, seit sie 25 war (!) so unglaublich zugenommen hat. Dann sagt sie: "Vielleicht sollte ich weniger Alkohol trinken". Und lacht. Und sie lacht in einem Ton, in dem man nur lacht, wenn man etwas äußerst Absurdes von sich gibt. Etwas, von dem man im Vorhinein weiß, dass genau das NICHT passieren wird. Als würde man sagen "Vielleicht sollte ich weniger Sauerstoff einatmen". Haha. Und runter mit dem nächsten Drink.
Und während ich mit ihr rede, und das tue ich aus Höflichkeit und weil ich es meinem Mann schuldig bin, da er diese Frau zu seinen Freunden zählt, frage ich mich, ob sie sich eigentlich dessen bewusst ist, dass sie nur maximal 55 kg bei einer Größe von 1.60 m wiegen kann und dass der Grund, warum sie immer nur bei den einfältigen Männern landet ist, weil sie selber nicht viel zu bieten hat. Und weil sie das, was sie zu bieten hätte, nicht zeigt. Zu ihren Hobbies zählt sie "Ausgehen". Trinkspiele. Manchmal joggt sie. Sie mag Männer. Und Facebook. Ihren Facebook account hatte sie vor einem Monat gelöscht, darauf hin hat sie jedem ihrer Facebook Freunde eine SMS geschickt, in der sie beteuerte, dass sie ihren Facebook account nicht gelöscht hatte, weil sie ihre Freunde nicht mehr mag, sondern aus privaten Gründen. Nach zwei Wochen hat sie sich aber wieder angemeldet, weil ein Leben ohne Facebook sehr langweilig sei. Sie mag Musik. Wessen? Sie hört alles.
Und ich denke so für mich, ob ich vielleicht finden würde, sie wäre etwas weniger langweilig und farblos, als sie sich gerade präsentiert, wenn ich sie nüchtern getroffen hätte.
Ob sie vielleicht aus Selbstschutz trinkt, oder ob sie ein ernsthaftes Trinkproblem hat. Ob sie etwas zu verbergen hat. Etwas Gutes vielleicht?
Nicht verarbeitetes Pubertätstrauma ist das Erste, was mir einfällt.
Ihre halb-geschlossenen, besoffen-angeschwollenen Augen holen mich aus meinen Gedanken zurück und ich überlege mir, wie ich die Konversation am besten fortführen könnte.
Auf die Frage, ob sie gerade ein Buch liest antwortet sie mir, dass sie, wenn sie nicht gerade arbeitet (in einer Bar), sie eigentlich immer ausgeht (in eine Bar). Für Bücher fehlt ihr außerdem die Geduld. Sie präferiert Filme. Da kommt man schneller zur Sache. Wieder lacht sie und nimmt einen Schluck vom so köstlichen GnT.
Unter keinen Umständen möchte ich damit sagen, dass Menschen, die keine Bücher lesen second class citizens sind und schlecht von Männern behandelt werden dürfen, ich wusste in dem Moment einfach nichts anderes zu fragen. Small talk mit betrunkenen Menschen aufrecht zu erhalten, wenn man selbst nur 2 Drinks hatte und man weiß, dass man niemals FREIWILLIG eine Konversation mit dem Gegenüber begonnen hätte, ist eine ziemliche challenge. Ich konnte mich außerdem schlecht konzentrieren, weil mir jeder Satz gefolgt von diesem elendigen Paris Hilton-Gekichere einen scharfen Stich in den Hinterkopf versetzte.
Mein schmerzverzerrtes Gesicht und angestrengtes Lachen lockten irgendwann meinen Mann an, der meine Gesprächspartnerin und mich auf eine Schlange von aneinandergereihten Sofas, die die halbe Breitseite des Clubs füllte, aufmerksam machte. Und ich muss sagen, dass war wirklich ein langes Exemplar von Couch.
Bevor wir unsere faszinierten Blicke von diesem grandiosen Möbelstück abwenden konnten, krabbelte plötzlich jemand auf allen Vieren über die Sofaschlange. Es war, naja, ratet mal wer. Sie wollte, so schien es zumindest, ein Kätzchen immitieren um nicht zuletzt die Aufmerksamkeit der männlichen Clubbesucher auf sich zu ziehen.
Einfalt ist das Erste, was mir dazu einfällt. Jaja. Was für ein Wortspiel.
Dem strahlenden Gesichtsausdruck meines Mannes zu urteilen, konnte ich davon ausgehen, dass er bereits VOR MIR gesehen hatte, wohin sich ihr Rock verselbständigt hatte
Ein ganzer Club voll Leuten war freie Sicht auf ihren blanken Hintern geboten.
Ihre Freunde versammelten sich binnen Sekunden lachend in einem kleinen Kreis und, noch immer das Spektakelt betrachten, gestanden sich ein, dass das "Kätzchen" doch sehr LOCKER wird, wenn sie betrunken ist.
Den Term "locker werden" verbinde ich üblicherweise mit etwas Positivem. Nun, sturzbetrunken auf einer Couch mit nacktem Arsch einen Club doggystyle zu unterhalten würde ich nicht als etwas betrachen, das man in den Lebenslauf packen kann.
Und während ich inmitten dieses Kreise von schaulustigen Freunden stand (einige davon hatten die iPhones schon ausgepackt), hörte ich neben Geklatsche, Pfiffen und Gelächter den Satz "She's done worse".
Und einen kurzen Moment habe ich das Verlangen, nachzufragen. Die Tatsache, dass ich übersättigt von dem Schauspiel bin, dessen ungewollter Zuschauer ich bereits geworden bin hält mich davon ab und ich verzupfe mich aufs Damenklo.