October 22, 2010

Katzenfisch

Computer an
E-Mails gecheckt
Next step: Facebook.

Social Networking ist wohl DER Begriff der Gegenwart. Unsere Generation lebt förmlich vor dem PC. Waren es vor einigen Jahren noch ICQ und MySpace, die unsereins täglich Stunden unserer Lebenszeit kosteten, so ist mittlerweile aus Facebook ein regelrechter Zwang geworden.
Hast ein Profil - haste Freunde. Das Perverse daran ist, dass man wahrscheinlich 70 Prozent der Leute in seiner Liste im echten Leben meiden würde.
Und ich rede hier durchaus von mir selbst. Einmal durch meine Facebook-Friends durchgeklickt, sitze ich perplex und mit beschämt gesenktem Kopf auf dem Sofa. Und auch das "Who the f***?" lässt nicht lange auf sich warten.
Würden wir diesen 70 Prozent denn im wahren Leben unter die Nase reiben wollen, welches Album wir grad cool finden oder was wir heute gemacht haben? Würden wir den Gänsen aus der alten Schule denn auf der Straße mitteilen: "Hey du, ich hab mich von meinem Freund getrennt, mein Beziehungsstatus ist jetzt 'It's complicated' "
Warum dann online? Warum dann auf Facebook?

And we're waiting for your call, we're against privacy

Wo einige User Selbstdarstellung auf einem niedrigen Level halten und Gebrauch der Privatsphäreneinstellungen machen, durch die Facebook anscheinend ein Sicherheitsgefühl im Datenschutz vorgaukeln möchte, geben sich andere den Selbstauslöser ihrer Spiegelreflexkameras wie die Türklinke in die Hand.
Ist das nun Selbstdarstellung oder Blossstellung? Das sei jedem selbst überlassen.

Keep your status up-to-date.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist: Inwiefern beeinflusst Social Networking abseits des Computers - sprich: unsere "normales" Leben in Echtzeit?
Inwieweit können wir das, was wir erleben und tun eigentlich noch genießen, ohne es der "Welt" in unserem Status mitteilen zu können? Oder ist die Mitteilung dessen, was man getan hat mittlerweile schon Antrieb dafür, es überhaupt zu tun?
Wäre es denn in Zukunft möglich, dass das Veröffentlichen von Geschehnissen spannender und aufregender ist, als das Erlebte selbst?

Eine Entwicklung, die diesem Szenario schon gefährlich nahe kommt, ist folgendes:

Kennt ihr diese Leute, die 2 Sekunden nach der Pointe eines Schmähs ihr Handy aus der Hosentasche fassen, ihren Status updaten und somit den kompletten Moment ruinieren?"OMG, like, having SO much fun with @Cunt and @Cock at the moment, like, totally can't believe how funny @Cunt could be, i like"

Ein weiters Beispiel, dass ich besonders auf Konzerten hier in Brisbane oft mitkriegen muss, sind die iPhone-Spezialisten (oh Gott, und mittlerweile Android. Android my arse.).

Sie versperren den fünfzehn Leuten in ihrem Umkreis die volle Sicht auf die Bühne, um schlechte Fotos (oder noch schlimmer, schlechte Videos) der Band zu machen, und sie danach unverzüglich auf Facebook zu laden. Natürlich sind die Fotos immer versehen mit einem indifferenten Kommentar: "@ the slutface concert. So far, it's pretty average". Blah.

Fragt sich, inwiefern man sich für von Vorne herein für ein Konzert begeistern kann, wenn man zwischendurch den Drang verspürt, sein facebook zu "checken".

Aber das ist eine andere Geschichte...

Um darauf zurück zu kommen, worüber ich eigentlich schreiben wollte:

Catfish


Die Dokumentation "Catfish" treibt die Groteske des Social Networking eine Stufe weiter nach oben.

"Nev" ist ein junger New Yorker Fotograf, dessen Foto in einem Magazin publiziert wird. Er erhält danach ein Packet von "Abby", einem 8-jährigen Mädchen aus Michigan, die sein Foto in ein Gemälde umgewandelt hat.

Abby und Nev finden sich auf Facebook und bleiben in Kontakt. Abby überträgt weiterhin Nev's Fotografien auf Leinwand und sendet ihm Pakete mit den Resultaten. Nev wird langsam aber sicher in ihre Familie integriert. Er fügt Abby's Mutter "Angela", sowie ihre Halbschwester "Megan" und weitere Freunde der Famile zu seiner Facebook-Liste hinzu. Eines Tages erhält er ein Bild von Megan, dass sein Facebook-Profilbild zeigt.

Nev ahnt, dass Megan für ihn schwärmt und bleibt in engem Kontakt mit ihr. Monate vergehen und die beiden befinden sich in einer Art Online-Romanze, wobei man merkt, dass Nev echte Gefühle für Megan entwickelt hat.

8 Monate später muss Nev New York aus beruflichen Gründen für einige Zeit verlassen. Er nimmt dies als Anlass, Abby und ihre Familie in Michigan zu besuchen.

Ab diesem Punkt nimmt die Dokumentation eine drastische Wendung. Man staunt, schüttelt den Kopf und zweifelt vielleicht sogar die Authentizität des Filmes an, weil man das Gesehene nicht für möglich halten kann und will.
"Catfish" wäre selbst als Spielfilm noch heftig genug. Die Tatsache, dass das Ganze so geschehen sein soll, wie es gezeigt wird, ist verstörend und unterhaltsam zugleich.
Ein gewisser Grad an Blossstellung, ließ sich zwar nicht vermeiden, jedoch fand diese auf beiden Seiten statt. So viel sei gesagt. Hier ist der Trailer. Den Rest müsst ihr euch selbst ansehen.



Ich für meinen Teil und in meiner Paranoia werde jetzt alle Markierungen in meinen Facebook-Fotoalben löschen.

Enjoy the rest of your day.
See you on facebook.


REGIE: Henry Joost, Ariel Schulman
CAST: Yaniv Schulman
PRODUKTIONSJAHR: 2007

(Catfish wurde am 17. September 2010 in den USA veröffentlicht. Online kann man eine Anfrage für die Ausstrahlung in seinem bevorzugtem Kino erstellen. Ob dies außerhalb der Staaten möglich ist, weiß ich jedoch nicht.)