March 06, 2010

Wir stehen niemals still!

Startpunkt: Picton.
Und da ich aus diversen privaten Gründen Picton nicht genauer erläutern möchte, überspringe ich das kleine, zugegeben eh sehr unspektakuläre Hafenstädtchen und komme gleich über zum spannenden Part: Nelson

Nelson war sozusagen mein Melbourne Neuseelands. Mein kleines Zuhause fernab der Heimat. Einmal im „Paradiso"-Hostel angekommen, waren die schätzungsweise 50 Leute bereits nach wenigen Stunden zu meiner Ersatzfamilie geworden. Und wie das in Familien eben der Fall ist, wurde hier alles zusammen gemacht und durchgestanden. Gemeinsam haben wir gelacht, geheult, gefeiert, uns gelangweilt, uns amüsiert, getrunken, diskutiert, uns von Brücken gestürzt, Slack-Lining probiert, Handstände bis zur „Vollverblaufleckung" geübt, zweimal Weihnachten gefeiert, uns im Ausgehoutfit in den Pool geworfen, Parov Stelar und Beirut gehört, das neue Jahr am Stadtplatz Nelsons begrüßt (mit lokaler Liveband „Minuit", sehr hörenswert) und vor allem versucht, die Welt mit unseren Idealen und Vorstellungen ein wenig zu verbessern. Wie das funktioniert? Man werfe 50 Freigeister im Alter von 18 bis 35 in ein Hostel, gibt ihnen shitloads of time und das ein oder andere alkoholische Getränk und voilá, die Gedanken sprudeln nur so vor sich hin.
Mein Aufenthalt in Nelson dehnte sich aufgrund dieser einzigartigen Atmosphäre auf stolze 14 Tage aus, mit Ausnahme einer 2 Tage andauernden Flucht nach Kaikoura. Was ich dort gemacht habe? Mir mit offenem Mund diesen Prachtkerl von Pottwal angeschaut:

















Da wir aber alle nun mal Backpacker sind, und uns nirgends heimischer fühlen, als auf dem Weg zum nächsten Abenteuer, haben sich die Pfade der „Paradios"-Familie nach Neujahr letztendlich getrennt. Trotz brennender Wanderlust war es nach fast 2 Wochen schwierig, sich von diesem Haufen verrückter, beeindruckender und absolut liebenswürdiger Individuen wieder zu trennen. Aber wie sagt man so schön: Man sieht sich immer zweimal.





















Für mich ging es nach dem Abschied weiter nach Christchurch. Gerrit, mein deutscher Hostelkollege, bot mir den Fahrersitz seines Vans an, da er am Vortag sein Weggehen etwas stärker gefeiert hatte als ich.
Der Start unseres Roadtrips stellte sich etwas holprig heraus. Nach gut 20 km ging uns der Sprit aus und wir mussten gezwungenermaßen den nächstgelegenen Farmer um sein Motorsägen-Benzin bringen, um es bis zur nächsten Tankstelle zu schaffen.
Einmal in Christchurch angekommen, waren wir auch schon wieder on the road. Meinen Abstecher zum Tintenstecher und die Liveband am Stadtplatz dürfen aber trotzdem erwähnt werden. Wann kriegt man immerhin wieder neuseeländischen Indie-Rock vor einer Kathedrale zu sehen?








Nächster Halt: Peninsula Bank, Akaroa. Und was ich in Neuseeland nicht mehr für möglich gehalten habe, widerfuhr mir in diesem unscheinbaren Städtchen: Kulturschock! Bei Akaroa handelt es sich nämlich um eines der wenigen, urpsrünglich zu Frankreich gehörenden Städte. Der Versuch, mein Französisch etwas aufzufrischen, endete in eher peinlichem Gestammel und stummem „in-Luft-auflösen". Französische Patisserien, Die kitschige Atmosphäre verlangte letztendlich auch noch nach einer kitschigen Tat: Fahrradtour im Blümchenkleid. Trés francais, non?



Gerrits und ich schlugen nach Akaroa wieder getrennte Wege ein. Für mich ging es weiter nach Tekapo, wo neben dem kristallklaren Lake Tekapo auch noch ein für mich fast, ja das kann ich mit gutem Gewissen behaupten, tödlicher Wanderweg auf mich warteten.
Wer konnte schon annehmen, dass sich das bisschen Wind im Tal zu einer Wirbelsturm-artigen Katastrophe am Berg entwickeln kann. Im Nachhinein kann ich jedoch jedem, der sich irgendwann mal völlig allein auf einem Berg in Neuseeland bei 500 km/h Windgeschwindigkeit flach am Boden liegend wiederfindet empfehlen, sich die Zeit bis zum Windstillstand einfach mit kräftigem Fluchen in jeder erdenklicher Landessprache zu vertreiben. Wirkt wie ein Wunder gegen Todesangst, Panik und Verspannungen im Nackenbereich..







Next Stop: Wanaka.
Extrem überbewerteter, langweiliger „do-muast-unbedingt-hi"-Backpacker Ort. 3 Tage schlechtes Wetter hielten mich von so ziemlich jeder Aktivität ab. Was mir übrigblieb, war ein unheimlicher „Lord-of-the-rings"-Marathon. Wer schafft sonst noch alle 3 Teile hintereinander? Mister Frodo!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Oh, und Scrabble...









In Queenstown wurde ich dann in ein weiteres der unzähligen Backpacker-Rituale eingeweiht. „Pub-Crawl". Ein „Pub-Crawl" läuft folgendermaßen ab: Im Hostel werden 10 Dollar bezahlt, danach wird man von Beisl zu Beisl gejagt, wo man jeweils einen ekelhaften Shot am Eingang hinunterwürgen muss, nur um dann in der Bar selbst noch massenhaft Alkohol zuzuführen. Das Resultat: Kopfweh, Übelkeit und überaus peinliche Stille am nächsten Morgen in der Hostelküche. Wer mit wem oder eh alle mit allen? Ein Schauspiel, dessen Beobachtung sich als überaus amüsant herausstellt











Milford Sound ist im Nachhinein gesehen wahrscheinlich das Highlight meiner Reise auf der Südinsel. Die unglaubliche Schönheit und Vielfalt dieser Fjordlandschaft lässt sich kaum in Worte fassen. Sehet selbst:


Wieder zurück in Queenstown, ließ ich mich auf den ungemütlichsten und längsten Road Trip meines bisherigen Lebens ein. Aaron und Stephen, 2 schlichtweg Wahnsinnige luden mich mitsamt Gepäck (!) und noch zwei deutsche, Perlenohrringe tragende Touristinnen auf den Rücksitz ihres Kleinwagens und chauffierten uns nach Christchurch. ENG ist gar kein Ausdruck. Claustrophobie. Beinamputation. Atemstillstand.
Zur Krönung gab es als musikalische Hintermalung dieses beinahe 8-stündigen Höllenritts den Twilight-Soundtrack bzw. Martin Lawrences „Talking Shit". Die zahlreichen, schlichtweg niveaulosen Gags des Schauspielers wurden Gott sei Dank mit jedem Durchgang eine Spur witziger und gegen Ende des Trips wurde bereits um die Wette zitiert. Erriiiic. I’m leaving.
Ahahaahaha.




Zurück im eher tristen Christchurch vertrieb ich mir die Tage bis zu meinem Rückflug hauptsächlich mit Mentholzigaretten, Coffee-to-go und vorfreudigen Gedanken an Melbourne und den bevorstehenden Besuch von daheim.




Neuseeland war für mich eine einmalige Erfahrung. Noch nie habe ich so viele interessante Charaktere konzentriert auf ein derart kleines Land angetroffen, durfte ich Natur in so vielen unterschiedlichen Ausprägungen und derart pur und unberührt genießen und mich in einem Ausmaß an Bescheidenheit üben, dass selbst meine Vorstellung übersteigt. Wer hätte schon gedacht, dass ich jemals länger als ein Festivalwochenende aus einem Rucksack leben und meine, aus Budgetgründen 2 statt 3 Mahlzeiten in einem Baumwollsäckchen mit mir herumtragen werde?
Die Wege des Herren sind unergründlich.